
Ein Beitrag von Alice Hörner
02.05.2021
Intuitiv werden die Begriffe Kunst und Forschung im Alltag eher getrennt voneinander betrachtet: Die Kunst als ein freies, kreatives und ästhetisches Kulturgut. Forschung hingegen erscheint eher als eine rationale und systematische Methode zur Erkennung der wahrhaftigen Weltprinzipien. So unterschiedlich die beiden Prozesse auch wirken, eine Gemeinsamkeit besteht: durch beide erlangen wir (wenn auch sehr unterschiedliche) Zugänge zu der Welt um uns herum. [1] Und das ist doch genau, was die Forschung möchte. Forschung ist nach UNESCO-Definition ein Vorgang mit dem Zweck, den Wissensstand der Menschheit, Kultur und Gesellschaft zu erweitern und dieses Wissen in die Entwicklung neuer Anwendungen miteinzubeziehen. [2]
Wenn die Kunst also eine Wahrnehmung der Welt erschaffen kann, dann wird damit gleichzeitig ein bestimmtes Wissen generiert. Dieses besteht in der „künstlerischen Erfahrung“. [3] Meist ist es eine sinnliche und emotionale Erfahrung die entsteht, wenn man Kunst erlebt. Künste können uns da berühren, wo es wissenschaftliche Ergebnisse in den Forschungsmagazinen nicht können.
Stellen wir uns beispielhaft ein Gemälde der Natur vor. Sieht man sich dieses an, erlebt man darin nicht nur die Formen und Farben des Grases oder der Bäume. Es entsteht ebenfalls ein Gefühl, was das Bild in uns auslöst. Der Versuch dieses Erleben zu beschreiben, fällt oft schwer. Es ist eine persönliche Erfahrung und nicht von den bisherigen Erfahrungen, die der Künstler oder der Betrachter gemacht hat, zu trennen. Das bedeutet, dass das Gemälde des Malers – darunter zum Beispiel die Kompositionen, Farben oder Formen – nicht nur von der echten Natur, sondern auch von der individuellen Wahrnehmung des Malers beeinflusst wurden. Der Maler malt also kein Bild, ohne nicht auch seine eigenen Erfahrungen und Gefühle in das Werk hineinfließen zu lassen. Genauso wie der Maler, erlebt auch der Betrachter das Bild ganz individuell.
Im Gegensatz zu den Künsten, in denen sich beispielsweise die Farben der Pflanzen unterschiedlich interpretieren lassen, kann die wissenschaftliche Forschung diese Farben durch chemische Verbindungen erklären. Diese chemischen Vorgänge haben durchweg nichts mit den Erfahrungen der Forscher zu tun. Es sind eher beobachtbare und sich wiederholende Vorgänge. Durch sie erlangen wir ein Wissen, das sich mit unserer angeeigneten Logik vereinbaren lässt.
Nun lässt sich erahnen, dass sich die Erfahrung einer chemischen Durchleuchtung einer Pflanze von der Erfahrung bei Betrachtung von Naturgemälden unterscheidet. Bestreiten lässt sich dabei jedoch nicht, dass wir sowohl durch das Ansehen eines Naturgemäldes als auch durch das Verstehen organischer Zusammensetzungen ein gewisses Wissen über die Welt erlangen. Die Frage ist nun: Lässt sich beides, das emotionale und sinnliche (man könnte auch sagen künstlerische) sowie das logische Wissen, innerhalb der Forschung vereinen?
In der Praxis ließ sich das bisher nur mühsam umsetzen. Bereits gab es einige Diskussionen um die Anerkennung von künstlerischer Erfahrung als tatsächliches Wissen, bzw. um das Einbinden der Künste in die Forschung. Die Parteien der Wissenschaftler und der Künstler führten hier buchstäblich einen Machtkampf. Künstler werfen Wissenschaftlern vor, sie können durch ihre Methoden nicht die gesamte Welt entschlüsseln und finden durch ihre Forschung nur noch mehr Rätsel. Währenddessen wirft die Wissenschaft der Kunst vor, sie nehme die Realität nicht in allen Facetten auf und verschließt sich lieber in irrationale und „naive“ Welten, die in ihrer Kunst zum Ausdruck kommen. [1]
Neben diesen Streitereien bestehen trotzdem Bemühungen Kunst und Forschung zu vereinen. In der Literatur lassen sich hierzu mehrere Kategorien dieser Thematik finden. Beispielsweise unterscheidet Dr. Katrin Bush [4] mehrere Zusammenhänge zwischen Kunst und Forschung. Hierbei gibt die “Forschung über Kunst”, in der sich die Forschung mit der Kunst selbst beschäftigt und versucht Erkenntnisse aus ihr zu ziehen. In einer weiteren Kategorie “Kunst als Forschung” versteht sich die Kunst selbst als Forschungsprozess. Die “Kunst mit Forschung” bezieht sich lediglich auf theoretisches Wissen, wie die Formen- und Farbenlehre und integriert diese in künstlerischen Werke. Neben diesen Einteilungen lassen sich die Künste in verschiedenster Form in den Forschungsprozess einbeziehen. Um hier nur einmal mit den Möglichkeiten zu beginnen, können künstlerische Werke als Antwort auf qualitative, bzw. subjektive Fragen dienen. Kunst kann ebenso Wissenschaftliche Ergebnisse in einer visuellen und körperlichen Form darstellen und somit erlebbar machen. Kunst kann als Motivation dienen, bestimmte Phänomene zu hinterfragen.
Was hat Kunst nun letztendlich mit Forschung zu tun?
Mit viel Angst wird über das Einbeziehen der Kunst in die Forschung diskutiert. Die Subjektivität und das mit Worten Unerklärbare an der Kunst wirkt für den Einen oder Anderen ungreifbar und somit unbrauchbar in der Forschung. Doch genau diese Eigenschaften sind es, die in der Forschung einen Wendepunkt bewirken. Die Kunst kann den Erkenntnisgewinn um eine sinnliche und emotionale Ebene erweitern. Nicht nur kann in Forschungsergebnissen der künstlerischen Forschung rationales und universelles Wissen stecken. Künstlerische Forschung schafft es vor allem, aus solchen Ergebnissen eine Erfahrung und somit eine neue Art des Wissens in die altbekannte Forschung aufzunehmen. Sie gibt uns die Chance, eine neue und sinnliche Art der Wissengenerierung zu erforschen und somit unseren bisherigen Wissensstand zu bereichern. Durch die Methode der künstlerischen Forschung entsteht ein neuer Zugang zu Forschungsergebnissen, ein neuer Weg sich Wissen anzueignen und die Chance neue Zielgruppen anzusprechen und weiterzubilden – wenn wir uns trauen sie anzuwenden.
Literatur
[1] Zinggl W. Im Labor von Kunst und Wissenschaft (Vortrag 24.06.2004). Hamburg: Hochschule für bildende Künste
[2] OECD Frascati Manual, Nr. 6, 2002: 30
[3] Klein J. Was ist Künstlerische Forschung? In: kunsttexte.de/Auditive Perspektiven Nr. 2, 2011
[4] Bush K. Artistic Research and the Poetics of Knowledge. In: Art and Research: A Journal of Ideas, Contexts and Methods. Volume 2, Nr. 2, 2009